„In meiner Lebensmitte verlor ich meinen Weg und verirrte mich verzweifelt und ohne jede Hoffnung. Mein Verlangen, mein Begehren und mein Stolz quälen mich. Es ist dunkel in mir und um mich herum, doch gibt es immer einen Weg, so heißt es.“
Doch was wäre geschehen, wenn ihm Publius Vergilius Maro nicht zur Seite hätte stehen können? Welchen Weg hätte Dante gehen sollen, um zum Leben und zu sich selbst zurückzufinden?
Er nannte in seiner „Vita Nuova“ die Pilger nach Santiago de Compostela „Peregrini“, weil sie nach Galicien reisen und dort das Grab des heiligen Jakobus besuchen.
Ob Jakobus der Ältere, einer der zwölf Apostel, tatsächlich gelebt hat, ist historisch nicht bewiesen – doch hier geht es um einen Mythos. Die Bibel berichtet über seine Hinrichtung mit dem Schwert während der Herrschaft des Herodes Agrippa I. über ganz Judäa (41-44 n. Chr.). Seine Jünger bestatteten den Leichnam des Apostels in einem Schiff ohne Besatzung, das später in Galicien anlandete. Helfer setzten ihn weiter im Landesinneren bei, das Grab geriet in Vergessenheit. Nach der Wiederentdeckung im 9. Jahrhundert wurde darüber eine Kapelle, später eine Kirche und schließlich die Kathedrale errichtet, der Apostel zum Nationalheiligen gemacht, der, mit dem Beinamen Matamoros (Maurenschlächter) versehen, im Kampf gegen die „Ungläubigen“ als Ritter auf einem Schimmel verehrt wurde.
Da gefällt mir seine Darstellung durch den Meister von Meßkirch um 1535 viel besser, denn hier sieht Jakobus mit seinem Breiten Hut und hohem Stab eher aus wie der wandernde Allvater Odin, der sein Auge gab, um Weisheit zu erlangen.
Dante hätte vielleicht genau diesen Weg eingeschlagen, um den Sinn in seinem Leben wiederzuentdecken, um über Verlorenes hinwegzukommen.
Zu Fuß, allein mit sich, im Sommer, wenn die Sonnenstrahlen gleich einem Inferno auf die „Meseta“ niederbrennen. Der Pilger erlebt die Qualen der Hölle bis er die Compostela, die „Gefilde der Sterne“ erreicht um schließlich weiterzugehen bis Finisterre, an das „Ende der Welt“.
So mag es Dante gelingen, auf dem Jakobsweg sein Leben zusammenzufügen, wie es seit Jahrhunderten schon Einigen vor ihm und nach ihm gelang, die der neunstrahligen Muschel folgten. Der Pilger durchlebt Tod und Auferstehung im Geiste des faustischen „Stirb und Werde“. Es ist eine Reise zu sich selbst, eine Er-fahrung, während der man sich den äußeren wie inneren Dämonen stellen muss, frei nach dem hermetisch-alchemistischem Spruch:
Gehe ins innere der Erde - Dich wieder erneuernd wirst Du den Stein der Weisen finden.
Danach erhebe Dich zu den Sternen – „Per aspera ad astra.“
Friedrich Nietzsche würde bitter lächeln, hat er doch Ähnliches erlebt.
Der große Philosoph schreibt an seinen Freund Heinrich Köselitz am 21.1.1887:
„Ein sublimes und außerordentliches Gefühl, Erlebnis, Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagnern die höchste Ehre macht, eine Synthesis von Zuständen, die vielen Menschen, auch »höheren Menschen« als unvereinbar gelten werden, von richtender Strenge, von »Höhe« im erschreckenden Sinne des Wortes, von einem Mitwissen und Durchschauen, das eine Seele wie mit Messern durchschneidet – und von Mitleiden mit dem, was da geschaut und gerichtet wird. Dergleichen gibt es bei Dante, sonst nicht. Ob je ein Maler einen so schwermütigen Blick der Liebe gemalt hat, als W. mit den letzten Akzenten seines Vorspiels?“
Ausgerechnet in einem Kommentar zum Richard Wagners Ouvertüre des Parsifal erwähnt Nietzsche den großen Dichter Dante. Hier schließt sich der Kreis zum Jakobsweg, denn der Camino ist oft nicht nur mit der Reise des Poeten in der „Commedia“, sondern auch mit der spirituellen Gralssuche verglichen worden – gilt doch Santiago de Compostela als einer der möglichen Orte wo sich der Gral befinden soll. Vielleicht ist jedoch der Weg wichtiger als das Ziel.
Doch ist es ratsam keine Musik mit auf die Reise zu nehmen - erst recht keine von Wagner...
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