Ihre Gemälde sind farbenfroh, naturnah, gesellschaftskritisch und enthalten eine deutliche Symbolsprache sowie literarische Bezüge. Die Bruderschaft löst sich bald wieder auf, aber ihre Ideen werden in den nächsten fünfzig Jahren von der englischen Avantgarde übernommen werden. Die zweite Generation, Edward Burne-Jones und William Morris, wenden die präraffaelitischen Prinzipien für Dekor, Möbel und Buchillustrationen an. Außerhalb von England wird insbesondere Burne-Jones die Bewegung der Symbolisten beeinflussen.
Die präraffaelitische Bewegung - Eine Studentenrevolte
Der Präraffaelismus ist eine ausschließlich britische Kunstströmung, die gegen Ende 1840 im viktorianischen London entstanden ist. Sie wurde von drei Studenten der Royal Academy, William Holman Hunt (1827-1910), John Everett Millais (1829-1896) und Dante Gabriel Rossetti (1828-1882), gegründet.
Zu jener Zeit befindet sich die britische Malerei in einem Engpass. Sie ist den starren Regeln der akademischen Tradition verhaftet und unterliegt dem Geschmack der Kundschaft, die insbesondere auf kleine Genreszenen erpicht ist, die sich durch gekünstelte Moral und Sentimentalität auszeichnen. Anliegen der drei Studenten ist es, sich von dieser gewöhnlichen Kunst abzuwenden und „die Menschen durch erhabene Bilder zum Nachdenken anzuregen”, erklärte Millais.
Ihrer Ansicht nach ist die akademische Lehrmeinung, die nicht mit den ästhetischen Gesetzen der Renaissance brechen kann, für diese künstlerische Erstarrung verantwortlich. Der Gruppe treten vier weitere Mitglieder bei: Thomas Woolner (1825-1892), Bildhauer und Dichter; James Collinson (1825-1881), Student der Royal Academy; William Michael Rossetti (1829-1919), Bruder von Dante Gabriel und Beamter der Steuerbehörden; Frederick Georges Stephens (1828-1907), ein untalentierter Kunststudent, der sich später der Schriftstellerei und Kunstkritik widmen wird.
Die Pre-Raphaelite Brotherhodd (Präraffaelitische Bruderschaft) wird 1848 gegründet. Ausschlaggebend für diesen Namen war ihre Kritik an Raffaels Gemälde (1483-1520), Die Verklärung (1518-1520, Museen des Vatikan), das sich Hunt zufolge „durch seine mangelnde Detailtreue, die theatralische Haltung der Apostel und die ganz und gar unspirituelle Darstellung des Erlösers auszeichnet”. Ihr Ziel ist es, sich von den akademischen Lehren abzuwenden und zu einer vorraffaelitischen Kunstform zurückzukehren.
Ihr Ideal ist die reine und freie Kunst der italienischen Meister des Mittelalters.
Der Präraffaelismus ist nicht nur eine Reaktion auf die akademische Tradition, auch der politische und intellektuelle Kontext jener Zeit spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Bewegung. 1848 wird ganz Europa von Revolutionen erschüttert; die Welle des Gothic Revival hatte im 19. Jahrhundert in England seinen Höhepunkt erreicht; der Kunstkritiker und Kunsthistoriker John Ruskin (1819-1900) ist sehr einflussreich in der viktorianischen Gesellschaft. Ruskin setzt sich für eine ethische Kunst ein, der eine wichtige gesellschaftliche Rolle zukommt. Im Mittelpunkt seines Interesses steht als Antwort auf die zunehmende Industrialisierung das Handwerk. Er tritt für eine poetische und mystische Anschauung der Natur und eine detailgetreue, wahrhaftige Darstellung derselben ein. Hunt, Millais und Rossetti teilen seine Ansichten vorbehaltlos.
Dank ihres Enthusiasmus gelingt es den jungen Künstlern, trotz eines teilweise unklaren und naiven Programms sowie ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten und Stile, eine neue Bewegung zu prägen.
Ihre ersten präraffaelitischen Werke werden in der Öffentlichkeit einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Ab 1849 tauchen auf einigen Londoner Ausstellungen Gemälde auf, auf denen unter der Signatur des Malers die Abkürzung P.R.B. (Pre-Raphaelite Brotherhood) steht, deren Bedeutung jedoch nicht preisgegeben wird. Rossetti präsentiert sein Werk Die Kindheit Mariens uerst auf der Free Exhibition in Hyde Park Corner und im Sommer in der Royal Academy neben den Gemälden Isabella von Millais und Rienzi von Hunt.
In technischer Hinsicht zeichnen sich diese Gemälde durch ihre lebendige Farbgebung , ihre detailgenaue Wiedergabe der Natur und die ungezwungene Haltung der Figuren aus. Die Bilder enthalten zahlreiche Verweise auf die Religion, Literatur und Dichtung. Die drei in der Royal Academy ausgestellten Gemälde finden einen Käufer und die Kritik reagiert eher wohlwollend.
Angesichts dieses Erfolgs gibt die Bruderschaft zur Verbreitung ihrer Ideen – wahrhaftige Darstellung der Natur in Kunst und Dichtung – die Zeitschrift The Germ heraus. Zwischen Januar und April 1850 erscheinen nur vier Ausgaben, doch The Germ heraus. führt nichtsdestoweniger zu einer verstärkten öffentlichen Kenntnisnahme der Bruderschaft und die Bedeutung der drei geheimnisumwobenen Buchstaben, P.R.B., wird in einem Artikel der Illustrated London News 4. Mai 1850 enthüllt.
In der Folge stoßen die Präraffaeliten auf Ablehnung. Anlässlich der Ausstellungen von 1850 und 1851 sind sie Gegenstand heftiger Angriffe: Man macht ihnen ihre triviale Behandlung religiöser Sujets (insbesondere Christus im Hause seiner Eltern von Millais) und ihre mangelnde Idealisierung zum Vorwurf.
Es finden sich jedoch einige Fürsprecher, die ihnen ihre Unterstützung zu teil werden lassen: der Kunsthistoriker Ruskin und einige neue Mitglieder darunter Charles Allston Collins (1828-1873), Arthur Hugues (?-?) oder Walter Deverell (1827-1854).
1852 sind in der präraffaelitischen Malerei gesellschaftskritische Sujets auszumachen, denen insbesondere Ruskins Interesse gilt. Doch der Wandel in der Rezeption wird in diesem Jahr dank literarischer Sujets eintreten.
Die Präraffaeliten schöpfen ihre Inspiration aus den Werken nationaler Dichter wie Keats, Tennyson oder Shakespeare, was dazu beiträgt, dass ihre gewagte Malerei schließlich doch Anerkennung findet. Ausschlaggebend für dieses Ansehen ist erneut ein Gemälde von Millais. Sein Gemälde Ophelia, steht ganz und gar im Zeichen des Präraffaelismus: die detailgetreue Darstellung, schillernden Farben, zahlreichen Symbole und das der Literatur entlehnte Sujet kontrastieren mit der klassischen Malerei. Ophelia löst sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum Lobeshymnen aus.
Die zweite Generation
Der Erfolg tritt zu einem Zeitpunkt ein, als die Bruderschaft schon in der Auflösung begriffen ist, denn die Wege der Mitglieder trennen sich. Woolner wander t 1852 nach Australien aus, Millais wird 1853 an die Royal Academy berufen, Hunt unternimmt 1854 eine Reise in das Heilige Land… Im November 1853 schreibt D. G. Rossetti an seine Schwester: „Die Tafelrunde ist nun vollständig aufgelöst”.
Die Bruderschaft existiert zwar nicht mehr, doch die präraffaelitischen Ideale haben im Vereinten Königreich Nacheiferer gefunden.
Diese „zweite Generation” wird durch die Arbeiten von Edward Burne-Jones (1833-1898) und William Morris (1834-1896) geprägt. Die beiden Männer, die sich Anfang 1850 während ihres Studiums im Exeter College von Oxford kennengelernt hatten, verbindet eine enge Freundschaft. Ihnen gemein ist das Interesse für die Kunst des Mittelalters. Einige Jahre später schlägt Morris die Architektenlaufbahn ein und wird D. G. Rossetti, dem Professor von Burne-Jones, vorgestellt.
Das Trio führt mehrere Projekte gemeinsam aus (Red House von Bexley, Oxford Union…)und gibt dem Präraffaelismus eine neue Richtung.
Allmählich wenden sie sich vom Mittelalter ab, worüber Ruskin sehr erfreut ist, denn diese Leidenschaft entfernte die Künstler von der Natur.
Burne-Jones und Rossetti widmen sich von nun an der italienischen Kunst und insbesondere Botticelli. Jane Burden (1839-1914) und Elizabeth Siddal (1829-1862), die Morris bzw. Rossetti heiraten werden, sind die Musen der Bewegung. Durch ihren Einfluss werden die Werke sinnlicher.
Der Einfluss der Präraffaeliten reicht in England bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein beredtes Zeugnis dafür sind die Fotografien von Julia Margaret Cameron (1815-1879) oder Roger Fenton (1819-1869) und die Illustration. Auch die Entwicklung des Aesthetic Movement in den Jahren 1870 wird dadurch geprägt und manche symbolistischen Strömungen stehen den Präraffaeliten nahe.
Die von William Morris gegründete Arts-and-Crafts-Bewegung steht in enger Verbindung zum Präraffaelismus und liefert wichtige Impulse für das Kunstgewerbe.
Auch im Jugendstil, der sich durch eine Verherrlichung der weiblichen Formen und geschwungene florale Ornamente auszeichnet, spiegelt sich der Einfluss der Präraffaeliten wider. Burne-Jones, der zwar nicht zu den Gründungsmitgliedern der Bruderschaft gehört und sich von der gesellschaftskritischen und realistischen Tendenz Hunts, Millais‘ und Rossettis abwendet, wird im Laufe der Jahre zum wichtigsten Vertreter der Bewegung. Sein Werk gilt als Verbindungsglied zwischen der ersten Generation und den folgenden Entwicklungen.
Gegen Ende des Jahrhunderts verflüchtigt sich die Bewegung allmählich: D. G. Rossetti stirbt 1882, Millais und Morris 1896, Burne-Jones 1898. Bis zum Schluss waren sie Zeuge davon, dass ihre Ideen von jüngeren Künstlern wie z. B. dem Maler John William Waterhouse (1849-1917) und dem Illustrator Aubrey Beardsley (1872-1898) übernommen und weiter entwickelt wurden.