Campbell schreibt: »Mythen und Symbole gehören zum essentiellen Grundbestand aller Religionen. Sie sind die ganz eigene Sprache der religiösen Erfahrung.« und er definiert einen Mythos als ein Corpus symbolischer Bilder und Erzählungen, die als Metaphern für die Möglichkeiten menschlicher Erfahrung und der Verwirklichung einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit stehen.
Das Verständnis heiliger Schriften als Metaphern, die nicht historisch zu interpretieren sind, ist der Schlüssel zu religiöser Toleranz. Fremde Religion ist meist unverstandener Mythos, d.h. Mythologie ist immer die Religion der »Anderen«.
Hier liegt für Campbell das große Missverständnis:
Gläubige halten oft Metaphern für Faktenaussagen.
Atheisten halten oft religiöse Metaphern für unwahr.
Die Funktionen eines Mythos sind vielfältig, doch in allen Kulturen gleich:
1. kosmologisch - Beziehung zur Natur
2. mystisch - Beziehung zum Bewusstsein & Mysterium des Kosmos
3. soziologisch - Vertritt gesellschaftliche moralische Ordnung (Gebote)
4. psychologisch - Bewältigung der Übergangsphasen
In ihrem lesenswerten Büchlein »Eine kurze Geschichte des Mythos« fasst Karen Armstrong die Eigenschaften eines Mythos zusammen:
1. Ein Mythos entsteht aus der Erfahrung des Todes und der Angst vor Auslöschung.
2. Ein Mythos ist untrennbar mit Ritualen verbunden.
3. Ein Mythos handelt vom Unbekannten. Für etwas ohne Worte.
4. Ein Mythos ist ein Verhaltenscodex für die diesseitige und jenseitige Welt.
5. Ein Mythos glaubt an höhere Entsprechungen. An eine ewige Philosophie.
Erst seit dem 18.Jh. stellt man sich auch im Bezug auf den Mythos die Frage: Was geschah tatsächlich?
Die rein wissenschaftliche Zerlegung führte dann zum Verlust unseres Verständnisses für »ewig wahre Geschichten«.
So schildert ein Mythos ein Ereignis, dass ständig passiert und zeigt uns einen Kern der Wirklichkeit.
Ein Mythos besteht, solange er wirkt. Er mutiert mit den Lebensumständen.
Ein Mythos wirkt, wenn er uns dazu bringt, unser Denken und unsere Gefühle zu ändern, uns neue Hoffnung gibt und uns zu einem erfüllteren Leben zwingt. Er schafft Orientierung und Lebenssinn.
Schliesslich muss ein Mythos ein transzendentales Erleben erfüllen.
Das ist die Basis auch jeder Religion.
»Die besten Dinge lassen sich nicht sagen. Die zweitbesten werden missverstanden.«
Heinrich Zimmer