Dabei orientiert er sich zunächst an der sogenannten Humoralpathologie (Viersäftelehre) wie sie den Hippokratikern in ihrer Schrift Über die Natur des Menschen (um 400 v. Chr.) ausgehend von der Elementenlehre des Empedokles (490–430 v. Chr.) als Konzept zur Erklärung allgemeiner Körpervorgänge entwickelt und von Galenos in ihrer endgültigen Form niedergeschrieben wurde. Aristoteles beschreibt sie in seiner Schrift Über die Seele (De anima), von den Kirchenvätern, u.a. Bonaventura, Albertus Magnus, und Thomas von Aquin, wurde sie aktualisiert.
Dante entwickelt deren Auffassung des Menschen als anima triplex nun weiter. Ihr zufolge bilden Herz, Kopf und Bauch jene Dreiheit, die in der christlichen Scholastik einen Analogieschluss mit der Trinität Gottes bildet.
So wäre also die
anima vegetativa der Hl. Geist (Eros / Bauch / Fühlen / das Dionysische),
anima intellettiva der Sohn (Logos / Kopf / Denken / das Apollinische) und
anima sensitiva der Vater (Kosmos / Herz / Wollen / der vereinende Aspekt).
Letztere ist in der Moderne die Willenskraft (virtù), der Selbsterhaltungstrieb, der élan vital nach Bergson, nur eben nicht mehr transzendent aufzulösen – eher im Sinne Kontingenz als Produktionsprinzip. Durchaus könnte man diese Schaffens- und Welterzeugungskraft mit Schopenhauers bzw. Nietzsches Lebensenergie per se im Terminus des Willens wiederfinden (vgl. Inferno, Canto 5: „Behindr' ihn nicht auf seinem Schicksalsgang: Man will es, wo man, was man will, auch kann“).
Der unbewegte Beweger steht demnach nicht still, sondern schafft aus sich selbst heraus stetig neu. Dante hat dies ausführlich und hierarchisch im Convivio III,ii,11 ff. entwickelt und ebenso in der Vita Nova verwendet.
Wohl bemerkt, wir befinden uns 600 Jahre vor der Psychoanalyse und den Bezeichnungen Es, Ich, und Über-Ich!
Entgegen dem theologischen Konsens seiner Zeit sieht Dante jedoch die Elemente des menschlichen Tryptichons nicht gleichwertig an, sondern beschreibt sein Modell in Form eines Y. Diese Weggabelung-Metapher findet sich in den Lehren Pythagoras (dem die Erfindung dieses Buchstabens zugeschrieben wird) genauso wie im Mythos um Aeneas „Goldenen Zweig“. Der Stamm, aus denen die beiden Enden der Gabelung als Symbol der Entscheidungsmöglichkeit hervorgeht, ist die Urkraft selbst als anima sensitiva – Gottvater entspricht also dem Herzen und somit der Liebe (amor), die über Allem steht.
Wehle schreibt dazu in seiner lesenswerten Abhandlung „Innamoramento“:
„Dante hat damit, wie die Vita Nova im Weiteren und insbesondere das Convivio ausführen, das, was den Menschen zum Menschen macht, bereits umfassend als einen Gegensatzzusammenhang, als eine Doppelnatur begriffen. Von seiner natürlichen Veranlagung her gesehen ist menschliches Selbstverständnis daher sekundär, eine kulturelle Schöpfung. Sie geht aus einem – lebenslangen – Zweikampf, einer Psychomachia von Leib und Seele hervor. Petrarca wird von diesem ›dissidio‹ ein vielgerühmtes Lied singen; Faust es so beklagen: »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust«. Ein ›Dividuum‹ sei der Mensch, ergänzt Novalis, sein Zeitgenosse, weil ihm – inzwischen – das In- des Individuums fehle. Damit aber ist unausdrücklich das große anthropologische Problem gestellt: wie lassen sich seine inneren Gegensätze versöhnen. Nach der Vorstellung der damaligen Zeit besteht darin das Glück. ›Beatrice‹ ist seine namentliche Agentin. […] Genaugenommen bildet die objektive Beatrice von vornherein somit nur das sinnliche Unterpfand für ihre eigentliche Realität in der Vorstellung des Ich. Ihr Anwalt Amor wird dem Ich klarmachen, dass die Wahrheit, von der die Liebesleidenschaft (passioni; 2,10) weiß, ihren Sitz im Vorstellungsvermögen hat (imaginazione, 2,7). Dessen Sprache der Bilder ist die Denkweise der ›anima vegetativa‹, ihr Redeziel Liebeserfüllung; Lust – piaceri (ebd.) – das Kriterium ihrer ungeistigen Wahrheit. Genau diesen Ausgang aus dem ›dissidio‹ aber lässt das Minneritual von vornherein nicht zu. Was aber geschieht mit einem solch aussichtslos Liebenden? Er verfällt der Liebeskrankheit schlechthin, der ›malattia d’amore‹. Für deren Behandlung zuständig ist die Humoralpathologie.
In ihrem Sinne bestimmt Dante die Symptome: überhitzten Pulsschlag, der die Lebensenergie verzehrt; Appetitlosigkeit, Tränenfluss, Zittern u.v.m. So aber diagnostiziert die Temperamentenlehre einen Melancholicus. Sein blockiertes Triebverlangen fixiert ihn so sehr, dass dessen Gegenspieler, das Verstandesvermögen, die ›anima intellettiva‹, völlig ausgeschaltet wird. Damit kommt seine Seele aus dem Gleichgewicht. Physisch droht ihm der Liebestod […]. Psychisch überlässt er sich den ungezügelten Imaginationen der ›anima vegetativa‹, die ihn mit Träumen und Wahnvorstellungen (parlare fabuloso; 2,10) heimsucht. Doch verschaffen sie dem unglücklich Liebenden auf ihre Weise nicht ebenfalls eine, wenn auch zunächst negative Erkenntnis seiner selbst? Sie entgrenzen seine bisherige Identität nach unten, in die dunklen Bereiche seiner Tiefennatur. Wie man heute weiß, entscheiden sich dort mehr als 80% unserer Reaktionen. Schon Dante war ganz offenkundig überzeugt, dass ein Bild des Menschen ohne dieses kreatürliche Wissen keine Grundierung hätte.“
Beatrice bildet mit den Heiligen Maria und Lucia wiederum eine Dreiheit:
Sorgfalt (diligentia), Stärke (potentia), Milde (clementia),
Mit Verstand, Wille und Gedächtnis (entsprechend den platonischen Tugenden Weisheit, Starkmut und Mäßigkeit) finden wir hier die positiven Gegenpole zu den drei Bestien, die den Dichter zu Beginn im Wald bedrohen:
Luchs*, Löwe und Wölfin *manchmal auch als Panthertier übersetzt
Sie stehen für Habgier (avaratia), Hochmut (superbia), Wollust (luxuria - bei Augustinus die concupiscentia carnis) – vielleicht Dantes „Schatten“, zugleich auch für Florenz, Frankreich und den Vatikan.
Joachim von Fiore, der im 12. Jahrhundert als Geschichtstheologe wirkte, bringt die Trinität mit einer historischen Entwicklung in Verbindung und gliedert die Geschichte in drei Zeitalter: Die Zeit des Vaters (Altes Testament), des Sohnes (beginnt mit dem Neuen Testament und endet nach seiner Vorhersage 1260) und die des Heiligen Geistes, welches auch Drittes Reich genannt wird – Bezeichnung eines Zeitalters der Erlösung, welche sich später die Nationalsozialisten aneigneten. Diesem Dritten Zeitalter geht die Ankunft des Antichrist voraus, welcher dann von einer kirchlichen Persönlichkeit besiegt wird. So identifizierten einige joachimitische Franziskaner den Heiligen Franziskus auf Grund seiner Stigmata als Alter-Christus (Drei-Zeiten-Lehre).
Diese Weltstruktur-Modelle, basierend auf Dantes-Dreizahl, beeinflussten sowohl die Platonische Akademie unter Marsilio Ficino (*1433), der u.a. Pico della Mirandola und Sandro Botticelli angehörten, als auch Nicolaus von Cues (*1401) der auf der Erklärung nach der Einheit in der Vielfalt war.
In einem Bändchen über die „Madonna mit dem Granatapfel“ von Sandro Bottichelli (1487) verbindet Ingeborg E. Doetsch die Perspektiven des Maler und des Theologen.
Der Cusaner fragte sich, wie man Unendlichkeit erfassen kann. Auf einer Schiffsreise sieht er am Horizont kein Land. Vögel erscheinen und er wünscht sich bis zu den Grenzen der Unendlichkeit fliegen zu können. Schlagartig erkennt er seinen Irrtum: das Unendliche hat keine Grenze! Der Horizont der Erde erscheint flach und Nicolaus von Cues folgert: Das Unendliche ist ein maximal ausgedehnter Kreis - und identisch mit einer Geraden! Ein Paradoxon. Kein „entweder-oder“ sondern, wie auch im Mythos ein „sowohl-als-auch“.
Das Wissen um die eigene Unwissenheit schreibt er im Werk De docta ignoranzia (Vom belehrten Nichtwissen) nieder. Er ist davon überzeugt, nur wenn man sich seiner Unwissenheit bewusst ist, ist es möglich, auch jene Dinge zu begreifen, die über das sinnlich Fassbare hinausgehen und behauptet:
Das Unendliche ist eine Eigenschaft der Schöpfung.
In der Scholastik galt bislang, dass die Welt endlich ist und sich so vom unendlichen Gott abgrenzt. Das neue Weltbild des Nicolaus von Cues jedoch vereint scheinbar Unvereinbares:
Gott ist all das, was sich in einem eingefalteten Zustand befindet (complicatio)
Welt ist alles, was sich in einem ausgefalteten Zustand befindet (explicatio)
Das Eingefaltete ist der Zusammenfall der Gegensätze (Coincidencia oppositorum) und übersteigt menschliche Logik & Vernunft.
Das Ausgefaltete ist die Vielfalt der Dinge.
Ferner sind wir Menschen als Schöpfer der Begriffe und der Kunst gottähnlich.
Doch Gott selbst fasst nur derjenige Intellekt, dessen Vernunft keine logischen Begrenzungen kennt. Der Weg dahin löst sogar die Unterschiede der Religionen auf, denn dieser Weg ist die Mystik.
Die anima triplex würde als Y-Symbol demnach aus den beiden Enden eine bogenförmige Weiterführung bedeuten, die wiederum im Stamm zusammentrifft.
Noch einfacher haben das verblüffenderweise jedoch die Daoisten dargestellt: